„3 Fragen an …“ Ali Rezaie

Warum sind Debatten um Geschlechterrollen wichtig? Wie fühlt es sich an,  wenn alles neu ist? Welche Rolle spielen Vorurteile? Ali Rezaie hat mit uns einen Blick auf Geschlechterrollen und -identitäten geworfen. Ein Gespräch über die Suche nach einer Perspektive, gegensätzliche Alltagswelten und was sich bei Geschlechterrollen ändern muss.

Debatten um Geschlechterrollen und -identitäten kommen in vielen Seminaren von „Empowered by Democracy“ vor. Warum ist das Thema wichtig?
Weil es viele Vorurteile gibt. Zum Beispiel lassen sich einige geflüchtete Paare scheiden, wenn sie eine Zeit lang in Deutschland sind. Man könnte denken, dass die Frauen in ihren Beziehungen in Afghanistan unterdrückt wurden und jetzt erkennen, dass sie andere Rechte und Möglichkeiten haben. Aber die Menschen sehen die tausend Probleme nicht, die diese Paare belasten. Vielen fehlt die Perspektive. Sie wissen nicht, ob sie in Deutschland bleiben können. Sie sprechen die Sprache nicht, dürfen aber gleichzeitig keinen Sprachkurs machen. Sie suchen eine Arbeit, aber können keine annehmen. Im Camp sind sie von morgens bis abends mit anderen Menschen zusammen. Es gibt keinen Raum für Privatsphäre oder um intim zu werden. Das beeinflusst ihre Beziehungen. Die Situation ist zu komplex, um sie auf ein einziges Problem zu reduzieren.


Du engagierst dich im Projekt „Empowered by Democracy“. Inwiefern hat das Projekt dich selbst verändert? Hast du durch das Projekt einen neuen Blickwinkel auf das Thema Geschlechterrollen und -identitäten bekommen?
Durch „Empowered by Democracy“ habe ich sehr viel über die deutsche Kultur gelernt und die Unterschiede zu Afghanistan. Auch auf das Thema Familie hat mir das Projekt einen neuen Blickwinkel eröffnet. Kinder, die hier zur Schule gehen, leben in zwei Welten. Wenn sie morgens zur Schule gehen, sind sie in Deutschland. Nachmittags kommen sie zurück nach Afghanistan. Sie sprechen eine andere Sprache. Sie lernen andere Werte. Ich finde es wichtig, aus beiden Kulturen das Positive mitzunehmen. Aber ich habe nicht unbedingt einen neuen Blick auf Geschlechterrollen und -identitäten bekommen. Es gibt Menschen, die nach Deutschland kommen und für die hier alles neu ist. Sie hatten vorher kaum Kontakt zu Frauen und sehen dann, wie die Mädchen sich hier anziehen. Dann denken sie, wer sich so kleidet, kann kein guter Mensch sein. Aber das ist zu kurz gegriffen. Wenn man sich kennenlernt, klären sich viele Probleme.


In Deutschland verdienen Frauen teilweise weniger als Männer, obwohl sie den gleichen Job machen. Wie erlebst du es im Alltag: Haben Mädchen und Frauen die gleichen Chancen und Freiheiten wie Jungen und Männer?
Nicht nur in Afghanistan waren Männer lange Zeit dominanter und Frauen mussten sich unterordnen. Auch in Deutschland hat sich in den letzten 50 Jahren viel entwickelt. Frauen wollen vorankommen und kämpfen für ihre Rechte. Sie wollen Gleichberechtigung. Ich denke, dass sich das auch in Afghanistan so entwickeln wird. Aber dafür brauchen wir auch die Unterstützung aus anderen Ländern. Ich studiere Maschinen- und Verkehrswesen. In meinem Fachgebiet sind Frauen in der Minderheit. Das liegt vermutlich daran, dass Frauen weniger Interesse daran haben und in anderen Fächern stärker vertreten sind. Ja, es gibt Frauen, die hier schlechter bezahlt sind als Männer. Aber ich bin optimistisch, dass sich das noch ändern wird. Die Frauen müssen für ihre Rechte kämpfen, aber sie brauchen auch die Unterstützung der Männer.


Über Ali Rezaie
Ali Rezaie ist Ende 2015 mit seiner Familie aus Masar-e Sharif in Afghanistan nach Deutschland gekommen. Er hat einen Abschluss in Bauingenieurwesen und studiert jetzt Maschinen- und Verkehrswesen an der Technischen Universität Berlin. Über sein Stipendium hat Ali Kontakt zu „Empowered by Democracy“ gefunden. Seit April 2018 ist er Teil des Projekts. Sein erster Workshop hieß „Als Familie ankommen“.