„3 Fragen an …“ Maud Vogel

Foto: Christoph Breuer

Wie sensibilisiert man Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationserfahrung für Antisemitismus? Maud Vogel sprach mit uns über ihre Erfahrungen in der politischen Jugendbildung.

Warum ist Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft ein Thema?
Antisemitismus findet sich in allen gesellschaftlichen Gruppen und Bereichen: im rechten und linken politischen Spektrum, in der sogenannten Mitte der Gesellschaft und im politischen Islam. Der Hass auf Jüdinnen und Juden lässt sich in allen Gruppen sowohl geschichtlich nachzeichnen als auch an aktuellen Beispielen belegen. Dabei tragen Menschen antisemitische Ressentiments und Stereotype häufig nicht bewusst und auch gegen eigene Absichten weiter. In der deutschen Einwanderungsgesellschaft sind wir mit speziellen Formen des Antisemitismus konfrontiert. Die historischen, politischen und religiösen Bezüge hängen mit dem jeweiligen Migrationshintergrund von Einwanderungsgruppen und ihrer gesellschaftlichen Situation zusammen. Die Rede von einem „importieren Antisemitismus“ dient allerdings nur dazu, sich der notwendigen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen zu entziehen. Sie suggeriert, dass es vor der Zuwanderung, insbesondere aus Ländern des Nahen Ostens, kein Problem mit antisemitischen Ressentiments gab. Das stimmt so nicht und spielt Menschen gegeneinander aus.

Bei „Empowered by Democracy“ arbeiten Sie mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrationserfahrung. Wie bringen Sie ihnen das Thema Antisemitismus nahe?
Wir finden es besonders wichtig, Jugendlichen ein Verständnis von Antisemitismus zu vermitteln, das sich nicht allein auf die Zeit des Nationalsozialismus beschränkt. Wir nehmen auch in den Blick, wie anpassungsfähig antisemitische Ressentiments sind und wie beständig sie sich halten. Woher kommen jüdinnen- und judenfeindliche Stereotype? Welche Funktion erfüllen sie? Wie können wir aktuellem Antisemitismus als Individuen und als Gesellschaft begegnen? Diese Fragen stehen im Fokus unserer Arbeit. Zum gesellschaftlichen Leben in Deutschland gehört aber auch die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Wir möchten die Jugendlichen für unsere gemeinsame Verantwortung im Umgang mit dem Nationalsozialismus und seinen Folgen sensibilisieren – unabhängig von kulturellen, sozialen oder ethnischen Hintergründen.

Welchen Beitrag leistet die politische Jugendbildung, um antisemitischen Stereotypen und Verschwörungstheorien entgegenzutreten?
Es gibt noch zu wenige Projekte und Initiativen, die auf aktuelle Erscheinungsformen des Antisemitismus eingehen und sie zum Inhalt pädagogischer Arbeit machen. Das beobachte ich gerade in Sachsen. Gleichzeitig hat Antisemitismus für die meisten Jugendlichen kaum Bedeutung. Weder der historische Antisemitismus noch die gegenwärtige Situation von Jüdinnen und Juden sind Themen, über die sie regelmäßig nachdenken und reden. Die wichtigste Aufgabe antisemitismuskritischer Bildungsarbeit ist daher nicht nur, Jugendliche aufzuklären oder Wissen zu vermitteln. In erster Linie möchten wir bei den Jugendlichen Interesse wecken und sie für das Thema sensibilisieren. Wenn uns das gelingt, können wir antisemitische Denkmuster in Frage stellen und alternative Sichtweisen aufzeigen.

Über Maud Vogel
Maud Vogel arbeitet freiberuflich in der politischen Jugendbildung. Für „Empowered by Democracy“ betreut sie das Projekt „Erinnerungskultur in der Migrationsgesellschaft“, das von ARBEIT UND LEBEN Sachsen in Kooperation mit dem Bildungsverein „Parcours“ durchgeführt wird. Die Maßnahme möchte Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationserfahrung für historischen und aktuellen Antisemitismus sensibilisieren.